Wir fordern Berliner Re-Start-Förderprogramm aus den nicht verbrauchten Geldern der Corona-Hilfen
Liebe Abgeordnete: Bitte befassen Sie sich auch damit, wie Berlin sich nach dieser Krise neu aufstellen muss!
In dieser Phase der Pandemie, in der Perspektivlosigkeit und Existenzängste viele Realitäten bestimmen, mag diese Forderung, die Olaf Kretschmar am Mittwoch im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses vorgetragen hat, verfrüht scheinen. Aber dass nicht nur eine Sicherung der Branchenstruktur, sondern auch ein gestärkter Gang aus der Krise wichtig und vor allem möglich sind, formulierte der Vorstandsvorsitzende der BMC gegenüber der Abgeordneten des Hauptausschusses. Dazu braucht es ein auf die Berliner Bedürfnisse zugeschnittenes Re-Start-Förderprogramm. Dieser Beitrag ist eine Zusammenfassungen der Forderungen, die am Mittwoch, den 3. März im Rahmen der 86. Sitzung vorgetragen wurden. Die Sitzung kann in Kürze über die Kanäle des Abgeordnetenhauses nachgeschaut werden.
Der Neustart ist nicht damit getan, dass alle die es noch können ihr Office wieder aufschließen und irgendwie weiter werkeln. Neustart ist kein individueller Akt. Für einen Neustart braucht es Plattformen, Strukturen und Möglichkeiten, um sich vor den globalen Herausforderungen an den Märkten unternehmerisch neu zu positionieren. Denn die digitale Transformation hat im Lockdown atemberaubende Entwicklungssprünge vollzogen. Die Welt, die wir postpandemisch vorfinden werden, ist eine veränderte.
Der Wettbewerb der Standorte wird darüber entscheiden, wie sie es in der Krise geschafft haben, nicht einfach nur zu überleben, sondern sich zukunftsweisend aufzustellen. Dafür brauchen wir Konferenzformate, Formate für den Austausch innerhalb der Branche und andere kollaborative Plattformen wie zB. die Clubkonferenz „Nights – Stadt nach Acht“ oder Fachkonferenz der Berliner Musikwirtschaft „MW:M“. Außerdem braucht es Leuchtturmprojekte wie die listen to berlin: Awards oder das Pop-Kultur Festival, um Berlin öffentlich medial neu zu positionieren und Zukunftssignale von hier zu verbreiten.
Sich dabei an die Fördermittel des Bundes zu klammern, ist aus unserer Sicht nicht der richtige Weg. Diese dauern lange und sind nicht fixiert auf die Entwicklung des Musikstandortes Berlin. Daher fordern wir ein eigenes Berliner Re-Start-Förderprogramm für Berliner Unternehmen und Akteur:innen, finanziert aus den nicht verbrauchten Geldern der Corona-Hilfsprogramme. Die Mittel dafür sind da! 330 Millionen Euro aus den Corona-Förderprogrammen des Landes sind bisher nicht ausgeschüttet. Wir befürworten, Teile davon für den Restart und dessen Planung 2021 zu aktivieren.
Berlin ist mehr als jede andere dt. Metropole von der Kreativwirtschaft geprägt und abhängig. Das Cluster IKT, Medien- und Kreativwirtschaft generiert über 16% der Umsätze der Berliner Wirtschaft und ist mit 332.000 Erwerbstätigen (Stand 2019) ein wichtiger Arbeitsmarktfaktor. Darüber hinaus gibt es vielvältige multiplikatorische Effekte, u.a. in den Hauptstadt-Tourismus, Gastronomie und die Anziehung von Fachkräften und Kreativen. Der Standort ist damit viel mehr als andere Regionen und Städte von einer prosperierenden Kreativwirtschaft abhängig. Daher steht momentan viel mehr auf dem Spiel, als nur das Schicksal Einzelner.
Als Teil dieser starken Kreativwirtschaft hat sich die Musikwirtschaft zu einem der entscheidenden Standortfaktoren des modernen Berlins entwickelt. Wir haben hier rund 1.600 Unternehmen der Musikwirtschaft, welche über 1,1 Mrd. Euro Umsatz im Jahr generieren. 12% aller deutscher Musikunternehmen sind in der Hauptstadt ansässig (Quelle: Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe). Wir haben die Künstler:innen und Kreativen. Wir haben eine starke Start-Up Szene als Experimentierlabore und Innovationstreiber*innen. Wir haben den etablierten Mittelstand – der über lange gewachsene Expertise und Kompetenzen verfügt. Wir haben die Majors. Und wir haben die in den letzten Jahren am stärksten gewachsene Gruppe der Soloselbstständigen, die in der Peer-Production arbeiten und sich Projektbezogen immer wieder neu verbinden. Nur wenn diese Strukturen – und zwar ALLE – erhalten werden, kann unsere Branche zukunftsfähig bleiben. Viele Unternehmen sich derzeit wirtschaftlich nicht handlungsfähig, da alle Rücklagen aufgebraucht sind. Für einen Restart ist weitere finanzielle Unterstützung seitens der Politik notwendig.
Covid 19 hat dieser Branche insgesamt einen schweren Schaden zugefügt, vor allem aber ist der Veranstaltungsbereich durch den Lockdown existentiell gefährdet. Wir reden hier nicht nur von Clubkultur und Nachtleben. Hier steht die technische Infrastruktur des öffentlichen Lebens zur Disposition. Für jedes Feuerwehrfest und jeden Parteitag braucht es Veranstaltungsdienstleister: Ton & Licht, Venues, Catering, Security usw. Diese haben seit einem Jahr keinen Umsatz und keine Rücklagen mehr, teilweise 50% der Mitarbeiter:innen verloren und keine Zukunftsperspektive. Der Wegfallen von Livekonzerten macht sich darüber hinaus in diesem Jahr vor allem durch den Wegfall der Tantieme für Künstler:innen und Verlage bemerkbar. Diese Tantiemen sind ein grundlegender Bestandteil der Einkommen von Künstler:innen und Musikverlagen. Das Problem wird sich ab diesem Frühjahr mit Einnahmeeinbußen von teilweise bis zu 80% bemerkbar machen und sich bis Mitte 2022 ziehen. Hier rollt also eine 2. Welle an Einnahmeausfälle an.
Darüber hinaus müssen Tilgungsfristen für Darlehen verlängert werden. Zu Beginn der Pandemie wurden von vielen Unternehmen Kredite aufgenommen vor der Annahme, nach einigen Monaten wieder in das Tagesgeschäft übergehen zu können. Vor dem Hintergrund des andauernden Lockdowns müssen Geldgeber:innen ebenso flexibel reagieren, wie es von den Unternehmen erwartet wird.